Mikrofinanz als Antwort auf die Lücke: Interview mit Brij Mohan
Brij Mohan ist ehemaliger Executive Director der Small Industries Development Bank of India (SIDBI) und Gründungsvorsitzender von ACCESS Development Services.
Mit seinem Schwerpunkt auf sozialer Wirkung hat er eine Schlüsselrolle beim Aufbau wichtiger Stakeholder und Akteur*innen im Mikrofinanzsektor gespielt. Dies hat zu einem nachhaltigen Wachstum der Mikrofinanzbranche in Indien beigetragen. Seit 2015 ist Brij Mohan die führende Kraft im Vorstand von Maanaveeya, des indischen Tochterunternehmens von Oikocredit. Mohan hat im Laufe der Jahre einen immensen Beitrag zur Entwicklung von Maanaveeya geleistet.
Wir sprachen mit Brij Mohan, der als Vater der Mikrofinanz in Indien bezeichnet wird, über seine Leidenschaft für den Sektor und dessen Auswirkungen auf das Leben benachteiligter Frauen in Indien.
Wie lange sind Sie schon im Mikrofinanzsektor tätig?
Meine Karriere begann als Regierungsbeamter, wo ich eine kleine Abteilung in der Planungskommission leitete. Das war nichts für mich, und so wechselte ich zur Industrial Development Bank of India und später zu deren Tochtergesellschaft SIDBI, wo ich 24 Jahre lang tätig war. Dort arbeitete ich mit vielen Nichtregierungsorganisationen zusammen und unterstützte sie mit Unternehmensschulungen, Marketingmaßnahmen und technologischen Verbesserungen. Aber ich hatte das Gefühl nichts Wertvolles beitragen zu können.
Andere Banker waren oft nicht bereit, sich mit neuen Ideen zu befassen, und hielten uns für einen überflüssigen Störfaktor in der normalen Bankenwelt. Das brachte mich auf den Gedanken, ein solidarisches Banksystem zu schaffen, und so fand ich mich in der Welt der Mikrofinanz wieder.
Wie haben Sie die Entwicklung des Sektors im Laufe der Zeit beobachtet?
Als ich 1994 anfing, gab es nur eine kleine Institution mit einer Zweigstelle, der Sektor war also fast komplett unbekannt und ein unbeschriebenes Blatt. Heute ist der Mikrofinanzsektor in Indien Teil eines sehr großen Ökosystems mit 66 Millionen Kund*innen, zu dem auch mehrere Banken und etablierte Finanzunternehmen außerhalb des Bankensektors gehören. Aus diesem Blinkwinkel betrachtet, hat sich im Vergleich zu unseren Anfängen sehr viel verändert - vor allem, wenn man sieht, wo der Sektor heute steht.
Welche Veränderungen haben Sie im Leben der Menschen durch die Mikrofinanz erlebt?
Es gibt so viele Einzelschicksale, aber für mich ist es am inspirierendsten zu sehen, wie sich die Gesellschaft verändert, wenn Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Vor allem bei Frauen habe ich beobachtet, dass ihr Ansehen innerhalb der Familie steigt. Sie werden in einer Weise an den Entscheidungen im Haushalt beteiligt, wie sie es vorher nicht waren. Die ersten Kredite ermöglichen es Frauen, ein Mobiltelefon, ein Fahrrad oder Küchengeräte wie einen Gasherd zu kaufen.
Da Frauen an Respekt und Selbstvertrauen gewinnen, konnte ich feststellen, dass der Bildung der Kinder, insbesondere der Mädchen, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Für Jungen ist es üblich, eine Ausbildung zu erhalten. Mädchen hingegen wird der Zugang zu Bildung oft nicht ermöglicht, um an Ausgaben zu sparen. Die Kredite werden auch für Verbesserungen in den Häusern verwendet, z. B. für den Einbau von Sanitäranlagen, wodurch die Lebensqualität für alle verbessert wird.
Darüber hinaus führt der Austausch in Gruppen zu einer Stärkung der Würde und des Selbstbewusstseins, was wiederum die Lebensbedingungen verbessert. Frauen erhalten die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden, sei es durch die Teilnahme an den Wahlen zum Dorfrat / zur Dorfrätin oder durch die Kontaktaufnahme mit den Bezirksbehörden, um bessere Straßen zu fordern oder sich über fehlende Stromanschlüsse zu beschweren.
Welchen Beitrag leisten Oikocredit und Maanaveeya Ihrer Meinung nach dazu? Warum ist unsere Rolle so wichtig?
Großbanken vergeben keine Kredite an bestimmte Personengruppen und sind oft auch nicht bereit, sehr kleine Kredite zu vergeben. Maanaveeya unterstützt diese Menschen und Unternehmen und sorgt gleichzeitig dafür, dass die finanziellen Vorteile breit gestreut werden und nicht zur Bereicherung einiger weniger führen.
In Anlehnung an die bewährten Verfahren von Oikocredit stärkt Maanaveeya die Gemeinschaften auch auf horizontale Weise durch den Aufbau von Beratungs- und Schulungsprogrammen. Es geht also nicht nur um das Geld. Vielmehr geht es auch darum, Vertrauen zu schaffen, Stärke aufzubauen und Fähigkeiten zu entwickeln.
Sie sind seit über 28 Jahren Teil des sich entwickelnden Mikrofinanzsektors in Indien. Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um bessere Ergebnisse und soziale Wirkung für die Kund*innen zu erzielen?
Heutzutage liegt unser Fokus darauf Menschen dabei zu unterstützen Unternehmen aufzubauen und größere Risiken einzugehen. Für uns stellt sich die Frage: Haben wir ihren Status wirklich verbessert? Es kann nicht alles nur auf der nachhaltigen Ebene bleiben. Wir versuchen unser Bestes, um Unternehmenswachstum zu ermöglichen und ein inklusives Finanzwesen zu entwickeln, das Aspekte wie eine gute Gesundheitsversorgung und kostengünstigen Wohnraum einschließt.
In letzter Zeit haben Sie über "Mikro-Kapitalbeteiligungen" (Englisch “micro equity”) gesprochen, können Sie mehr dazu sagen?
Für Unternehmerinnen sind Wachstum und Rentabilität eine Herausforderung, weil sie keinen Zugang zu Kapital haben und sich selbst nicht zutrauen, bessere und größere Unternehmen zu führen, die ein oder zwei Mitarbeiter*innen beschäftigen. Bei Mikro-Kapitalbeteiligungen geht es darum, sich an Unternehmen in einkommensschwachen Gemeinden zu beteiligen, anstatt ihnen Kredite zu gewähren.
Konkret geht es darum, unseren Kunden*innen die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um größere Unternehmen zu gründen. Wir müssen den ersten Schritt machen, um ihnen die Beträge zur Verfügung zu stellen, die sie in die Lage versetzen, größere, risikoreichere und ertragreichere Investitionen zu tätigen, indem wir das erforderliche Kapital für das gewünschte Unternehmenswachstum bereitstellen. Dies wird ihren Status erhöhen und ihr Einkommen verbessern.
Ein letztes Wort
Als konvertierter Banker habe ich gesehen, wie Geld das Leben verändern kann, aber ich habe auch gesehen, wie viele Menschen vom System nicht bedient werden. Die Mikrofinanz schließt diese Lücke.